Schulden zur Vorbereitung auf die Repression + Sozialschulden + Supermächte

Maria Eva Koutsovitis und Jonatan Baldiviezo

Sozialverschuldung der Stadtverwaltung

In der Stadt Buenos Aires werden die Mindesterwartungen an den Schutz der am stärksten Verarmten nicht erfüllt. Die Regierung des PRO *1] hat die auf die ärmste Bevölkerung ausgerichtete Sozialpolitik seit mehr als 12 Jahren unverändert beibehalten, trotz der Tatsache, dass sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nach und nach verschlechtert haben. Angesichts der extremen Situation, in der sich die Bürger von Buenos Aires befinden, war die Krise für das GCBA *2] kein Anlass für einen Wandel, sondern die Gelegenheit einer Vertiefung des in den letzten Jahren eingeschlagenen Weges.

Beispiele:

A) Für die Tausenden von Obdachlosen hat sie nur die Kälteschutzmassnahmen vorweggenommen, die Jahr für Jahr fehlgeschlagen sind. Eine Obdachlosenunterkunft ist keine angemessene Unterbringung (selbst der Oberste Gerichtshof hat darauf hingewiesen).

B) In den Arbeitervierteln, in denen 400.000 Menschen leben, wird weiterhin keine reguläre Versorgung mit sauberem Trinkwasser angeboten, obwohl es sich um die am stärksten von der Dengue-Epidemie betroffenen Gebiete handelt. In den kommenden Tagen soll die Justiz eine Vorsorgemaßnahme beschließen, die präsentiert wurde, um das Menschenrecht auf Trinkwasser zu garantieren.

C) Die Mietzuschüsse sind seit März letzten Jahres bei einer Inflationsrate von rund 50% nicht gestiegen (der Höchstbetrag liegt derzeit bei 8.000 Pesos). Dies hat zu mehr als 4.000 Gerichtsurteilen geführt, in denen das GCBA verurteilt wurde, weil es versäumt hat, das Recht auf Wohnen zu garantieren.

D) Die Verpflegung in den Schulen wurde wegen des Aussetzens des Unterrichts durch die sogenannten «nutritiven Lebensmittelpakete» ersetzt, in denen notwendige Nährwerte nicht berücksichtigt sind. Diese Situation wurde gerichtlich durch eine einstweilige Verfügung anerkannt, die das GCBA ignorierte. Das Urteil warnte die Regierung, dass die Lebensmittelpakete nicht dem Gesetz für Schulspeisung entsprechen und dass der gesundheitliche Notstand keine Entschuldigung für die Nichteinhaltung des Gesetzes ist. Das GCBA zahlt das Doppelte des aktuellen Marktpreises für die Lebensmittel, die private Unternehmen an Schulen liefern – die Zahlung von Wucherpreisen in diesem Zusammenhang ist eine wiederkehrende Praxis dieser Administration.

E) Es gibt unzählige Mängel im System des virtuellen und Fernunterrichts. Rodríguez Larreta *3] äußerte in einem Radiointerview, dass es kompliziert sei, den Schülern in Buenos Aires Computer zu liefern, um den Fernunterricht angemessen umzusetzen, und dass er es vorziehe, dass die Laptops der Regierung in den Schulen bleiben, ohne benutzt zu werden. Er räumte auch ein, dass es viele Familien gibt, die über keinen Internetanschluss verfügen, was er als unvermeidlich bezeichnete. Kurz gesagt, das GCBA beschloss, keinen Peso für die Hilfe bei der Konnektivität (Computer, Internet usw.) für diejenigen bereitzustellen, die nicht über diese Werkzeuge verfügen. 

F) Beschwerden über den Mangel an persönlicher Schutzausrüstung und Biosicherheit in Krankenhäusern und anderen öffentlichen Bereichen in Buenos Aires sind an der Tagesordnung, eine Situation, die auch die Aufmerksamkeit der Justiz verdient, die bereits 18 Verfügungen gegen das GCBA erlassen hat.

In diesem Zusammenhang verabschiedete die Legislative von Buenos Aires am vergangenen 7. April zwei Gesetze, das Gesetz Nr. 6.299 und das Gesetz Nr. 6.300, die die Exekutive ermächtigten, öffentliche Schulden in Höhe von 18,69 Milliarden Pesos aufzunehmen. Diese Projekte, die im Mittelpunkt des Textes stehen, gaben eine Botschaft der Hoffnung. Sie erklärten, dass die Schulden für die medizinische Notfallversorgung aufgrund des Covid-19-Coronavirus und zur Gewährleistung des normalen Funktionierens der übrigen vom GCBA erbrachten Dienstleistungen verwendet werden sollten. Es war jedoch nicht nötig, lange zu warten; das GCBA selbst bestimmte die tatsächliche Verwendung der Geldmittel:

Verschuldung zur Stärkung des Repressionsapparates:

I. Einen Tag nach der Bewilligung der Schulden wurde im Amtsanzeiger veröffentlicht, dass das GCBA 52 Millionen Pesos für den Kauf von Anti-Riot-Ausrüstung (150.000 Patronen mit Gummigeschossen und etwa 5.000 Handgranaten/Tränengas) zur Verfügung stellte.

Es scheint, dass der GCBA den Satz, dass wir uns in einem «Krieg» gegen das Coronavirus und das Dengue-Fieber befinden, wörtlich interpretiert hat. Aber auch hier stellt das GCBA seine Absichten in der Resolution Nr. 69/SSGA/20 klar, indem es darüber informiert, dass die Abteilung für Rüstung, Munition und Sprengstoffe um die dringende Bereitstellung von Material zur Bekämpfung von Unruhen gebeten hat, um der sozioökonomischen Lage infolge der Covid-19-Pandemie zu begegnen. Dies ist kohärent, der Krieg findet zwischen Menschen statt. Ist dies die Vorbereitung für einen Krieg gegen die Bevölkerung?

Wir haben noch nie solche präventiven Maßnahmen von Seiten der Regierung erlebt. Das Geschäftliche, die Angst und das Schwindelgefühl angesichts einer sozialen Explosion führten dazu, dass die gekauften Geräte am 27. März 2020, d.h. zwei Tage nach der internen Anfrage für die Bestellung und eine Woche vor der Genehmigung des Kaufs, eintrafen. Das GCBA stellt fest, dass «die Lieferung aufgrund der zum Ausdruck gebrachten Dringlichkeit nicht warten konnte».

II. Darüber hinaus bildete das GCBA eine neue «taktische Einheit», die División de Intervención Rápida (DIR)*4], eine neue 700 Mann starke Spezialeinheit. Die oben erwähnte Anti-Riot-Ausrüstung wurde gekauft, um diese neue Division auszurüsten. Außerdem wurden 283 Millionen Pesos für Motorräder und 375 Millionen Pesos für Winterausrüstung ausgegeben. Die Idee kam von der Regierung Macri *5]. Im Jahr 2017 schuf Macri die Fuerza de Despliegue Rápido (FDR) *6] mit dem Ziel, dem Sicherheitsministerium logistische Unterstützung bei Operationen gegen mutmaßliche Drogenkartelle an der Grenze, dem Vordringen gewalttätiger «Mapuche-Extremisten» und dem Schutz von natürlichen Ressourcen zu leisten.

Diese neue Abteilung wird mindestens 50 Motorräder und 40 Polizeitransporter umfassen. Sie wird seit März unter der Leitung von Kommissar Major Pablo Kisch ausgebildet, der für die Koordinierung der verschiedenen «Sondergruppen» der Truppe zuständig ist. Sicherheitsminister Marcelo D’Alessandro sagte der Medienplattform «El Grito del Sur«, dass die Division bereit sei, «sofort» bei «jeder anomalen Situation, die sich bei einem der 5.500 von der Polizei als sensibel identifizierten Ziele ergeben könnte», zu handeln. Neben Botschaften, Suppenküchen und Krankenhäusern nannte D’Alessandro auch Supermärkte als Punkte, «auf die man aufpassen sollte».

Das GCBA verkauft diese neue Division als eine quasi gemeinschaftliche «Outreach Force». Die Gemeindepolizei im Vereinigten Königreich trägt keine Schusswaffen. Diese «Outreach Force” aber hat so viele Waffen, dass sie in einem Bürgerkrieg eingesetzt werden könnte. Zusätzlich zur extremen Überwachung der Stadt, durch den Einsatz von Gesichtserkennung und die Implementierung von 7.300 Kameras, wurde diese Woche ein neues Kamerasystem für 200 Polizei-Streifenwagen eingeführt.

Neuverschuldung zur Vertiefung der Überwachung und zur Vorbereitung auf mögliche Repressionssituationen. Es scheint, dass das GCBA uns die Chronik der angekündigten sozialen Explosion oder ihres Schwindels angesichts des sozialen Konflikts erzählt (der Schwindel, der nicht die Angst vor dem Sturz, sondern der Wunsch zu springen ist). 

Staatsgewalt für Sozialkürzungen, Zahlung von Zuschlägen und die Ausrüstung der Repressionskräfte

Am 22. April 2020 legte der Regierungschef Horacio Rodríguez Larreta den Gesetzentwurf Nr. 818-J-2020 über den «wirtschaftlichen und finanziellen Notstand der autonomen Stadt Buenos Aires» vor. Dieser Gesetzentwurf würde dem Regierungschef im Falle seiner Verabschiedung durch die Legislative im Rahmen einer wirtschaftlichen und finanziellen Notlage der Stadt bis zum 31. Dezember 2020 die absolute Macht über den Haushalt, die Auftragsvergabe, die Durchsetzung von Gesetzen, Steuern und Gehältern der Staatsbediensteten gewähren. Diese Situation wird von der Nationalverfassung (Art. 29) als null und nichtig betrachtet, die Verfassung der Stadt aber noch strenger als die Nationalverfassung. Artikel 84 legt fest, dass die Legislative ihre Befugnisse zu keinem Thema, in keiner Situation und für keine Zeitspanne an die Exekutive delegieren darf.

Die Legislative hat Jahr für Jahr dem Regierungschef mit gewissen Einschränkungen (dass die Änderungen nicht mehr als 5% betragen) haushaltspolitische Sonderbefugnisse übertragen (https://observatoriociudad.org/2016-12-aprobacion-ley-de-presupuesto-de-la-ciudad-nuevamente-superpoderes-para-el-jefe-de-gobierno-y-mas-endeudamiento/). Nun verschwindet diese Grenze und ermächtigt die Stadtregierung, den Haushalt der Stadt in seiner Gesamtheit festzulegen und ihn so oft integral zu ändern, wie der Regierungschef es beschließt. Die Zweckbestimmung und Verteilung der Ressourcen der Stadt ist entsprechend ihrer institutionellen und politischen Organisation eine der Entscheidungen, die in ihrer Debatte den größten demokratischen Anspruch erfordern würde – bei voller Beteiligung der Bürger. Eine demokratische Entscheidung par excellence wird auf den Willen einer einzelnen Person reduziert.

Das Ziel ist nicht nur die Beseitigung der Haushaltszwänge, sondern auch die Verschleierung der Ausübung dieser neuen außerordentlichen Befugnisse. Die Exekutive wird nicht mehr verpflichtet sein, den Haushaltsausschuss der Legislative über die Änderungen des Haushaltsgesetzes zu informieren oder diese im Amtsanzeiger zu veröffentlichen. Die Änderung von Haushaltsposten ist keine irrelevante Frage. Der Trend der letzten 12 Jahre war ein Rückgang der Budgetmittel in sozialen Bereichen zugunsten des Schuldendienstes, der Gestaltung der Stadt und der städtischen Polizei. Die Tatsache, dass der Haushalt vom Regierungschef bestimmt wird, bedeutet fast zwangsläufig eine Anpassung der Politiken und Programme, die auf soziale, ökologische und kulturelle Bereiche ausgerichtet sind.

Während dieser Gesundheitskrise hat das GCBA beschlossen, ein Budget für die Zahlung von Wucherpreisen bereitzustellen (https://observatoriociudad.org/la-ciudad-compr%C3%B3-barbijos-con-200-millones-de-pesos-de-sobreprecio/) und die Sicherheitskräfte zur Repression und Überwachung der Bürger zu stärken. Der Gesetzentwurf stellt klar, dass nun ein größeres Budget für die Öffentlichkeitsarbeit und die Aufklärung der Bevölkerung bereitgestellt wird. Dies bedeutet in Wirklichkeit strengere offizielle Leitlinien für die Medien und damit die Wiederherstellung der Medienabschottung der Regierung, die in den letzten Wochen offenbar brüchig geworden ist.

Die durch den Coronavirus Covid-19 vertiefte Gesundheits- und Wirtschaftskrise verstärkt die Prekarität aller Dimensionen des städtischen Lebens. Und obwohl dieses Szenario die Möglichkeit eröffnet, zu einem alternativen Stadtmodell überzugehen, nutzt das GCBA diese Krise, um die Verschuldung, Schwarzkasse und die institutionelle Gewalt zu erhöhen.

Zugang zu den 34 Berichten von Correpi: http://www.correpi.org/

*1] PRO Propuesta Republicana, argentinische Partei

*2] Gobierno de la Ciudad de Buenos Aires, Stadtregierung von Buenos Aires

*3] Horacio Rodríguez Larreta, Regierungschef der Stadt Buenos Aires

*4] *6] Schnelleingriffs-Einheit der Polizei

*5] Mauricio Macri, Argentinischer Präsident 2015-2019

* María Eva Koutsovitis: Bauingenieurin, Professorin und Forscherin an der Fakultät für Ingenieurwesen der Universität Buenos Aires Koordinatoren des Lehrstuhls für Community Engineering (Universidad de Buenos Aires), Mitglied der Frente Salvador Herrera (Central de Trabajadores de la Argentina, Capital) und des IPyPP (Instituto de Pensamiento y Políticas Públicas).

*Jonatan Baldiviezo: Rechtsanwalt, spezialisiert auf die Verteidigung der Umwelt, städtische Fragen und Menschenrechte. Gründer und derzeitiger Präsident des Observatorio del Derecho a la Ciudad. Gründer der Vereinigung Asociación por la Justicia Ambiental.

Übersetzung Johanna Bock

Um das in dem Text erwähnte Video zu sehen…

Horacio González

Eine Notiz zum Heldentum

Horacio Gonzalez Es ist klar, dass militärische Metaphern die Beschreibung von Maßnahmen im Zusammenhang mit der Quarantäne weitgehend übernommen haben. Viele Genossen haben sehr deutliche …

Rubén Mira

Bullen-Schiessen (zehn Notizen über die Geburt einer gesunden Sportart)

Ruben Mira I Als ich über die Revolution von 1893 sprach, sagte mein Alter, dass nach den zentralen Ereignissen eine kollektive Rache ausgelöstwurde. Da sich …

Esteban Rodríguez Alzueta

Arbeiten, ohne sich Geschichten zu erzählen: Polizisten, Aufopferung und Gewaltanwendung

Esteban Rodriguez Alzueta 1. Ein Polizist ist kein Polizist, oder besser gesagt, ein Polizist ist viel mehr als ein Polizist. Ein Polizist kann ein Elternteil, …